13. August 2024
Ein Kolloquium der internationalen Novalis Gesellschaft am 4. und 5. Mai 2024 im Novalisschloss in Oberwiederstedt Begrüßt wurden die Schlossbesucher durch die auf der Treppe musizierenden Jagdhorn-Bläserinnen Ermsleben, was auch Menschen aus der näheren Umgebung motivierte, das Schloss zu besuchen und erfahren zu wollen, was es mit dem Thema Wald auf sich hatte. Die Einstimmung auf die romantische Ressource erfolgte durch das Lesen von Gedichten, die Ernestine Grün unter dem Titel „Das literarische Leben der Bäume – Geschichten, Geheimnisse und Gedichte“ zusammengestellt hat. Schon die Gedichte ließen das Publikum nicht im Irrglauben, hier würde nun die Romantik des Waldes beschworen, denn alle wurden bestärkt darin, sich auch mit dem Schwinden der Wälder und den ökologischen Folgen zu beschäftigen. Der romantisch-realistische Blick verbindet aber nicht allein die Freunde Novalis, das zeigte der erste Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Bunzel: „Vom Schrecken zum Sehnsuchtsraum. Der Wald in der deutschen Romantik“, denn dieser stellte immer auch den Bezug zu den momentan in Frankfurt zu sehenden Ausstellungen her. Von der Romantik in die Zukunft, das ist sowohl im Deutsches Romantik-Museum, im Senckenberg Naturmuseum und im Sinclair-Haus Bad Homburg zu verfolgen. Die Intention des Kolloquiums wurde damit auf schöne Weise bestätigt: Deutlich zu machen, Romantik liefert zwar einen ästhetischen Zugang, um die Bedeutung der Wälder zu erkennen, steht aber immer in Verbindung zu wissenschaftlichen und ökologischen Zugängen. Romantik ist nicht Schwärmerei, sondern bewusster Blick in die Zukunft und immer Aufforderung, das Verhältnis zur Natur zu hinterfragen. Mit Ernst Bloch könnte man von einem schon früh erfolgten Hinweis sprechen, die Natur nicht auszubeuten, sondern Wege einer Allianz zu beschreiten, ganz im Sinne von Novalis, bei dem die Natur zum Subjekt wird, dem das Ich als Du begegnet. Dass dies auch in der Literatur weiterverfolgt wurde, zeigte der Vortrag von Dr. Klara Schubenz. Sie ging der Frage nach, wie sich vom Wald erzählen lässt und wie dies im 19. Jahrhundert geschah, mithin welche Erzählmuster weitergegeben wurden. Beide Vortragende machten anschaulich, wie die Angst vorm dunklen, bedrohlichen Wald von der Vorstellung einer verlockenden Gegensphäre zur bürgerlichen Gesellschaft verdrängt wurde. Romantiker eröffneten den Blick für den Naturraum als Echoraum für die eigene Subjektivität, sie erkannten die Verbindung mit der Natur als ein erstrebenswertes Ziel. Gerade der Wald lädt ein zu Tagträumen und eröffnet dem Subjekt Phantastereien, sein luzides Licht führt Waldgänger in eine besondere Stimmung. Nicht unterschlagen wurde auch, dass der Wald nicht nur als poetogene Zone gedeutet wurde, sondern sich auch eine patriotische Dimension entwickelnde, nachgerade die verklärende Deutung des Waldes als deutsch und als Bindeglied zu Freiheitsgedanken. Den Teilnehmenden des Kolloquiums – ca. 50 Personen waren im Schloss, aber andere, gerade Menschen aus anderen Ländern, waren digital zugeschaltet – ging es in der Diskussion vor allem um die Erkenntnis, wie früh es schon ein Bewusstsein für die Gefährdung der Natur gab, wie kontinuierlich sich Kritik an der Naturzerstörung entwickelt. Die Referentin hatte gerade deshalb ihren Vortrag damit begonnen, die Bilder vom Wald als Reaktion auf eine aufgeklärte Forstwissenschaft zu erklären. Der Forst, das ist die Ressource, die genutzt werden soll, deshalb die Monokulturen und die Ordnung, der Wald aber der Ort, der zur Reflektion einlädt und uns bis heute deutlich macht, wie bedeutsam ökologisches Bewusstsein ist. Abgeschlossen wurde der erste Tag durch die Foto-Kunst-Ausstellung ‚Das geheime Leben der Wälder‘ von Peter Grün, der die Besucher einführte in das, was zu sehen und zu erfahren war und die Interessierten begleitete, so dass sie beständig mit dem Künstler im Dialog sein konnten. Wie sehr das Schloss selbst immer mehr sich zur attraktiven Tagungsstätte entwickelt, die eine Dauerausstellung, Gemälde aus der Ahnengalerie der Familie Hardenberg, inklusive Taufhäubchen des Novalis, Forschungsstätte für Frühromantik für die Besucher bereithält, zeigte der Direktor Dr. Steffen Schmidt bereitwillig allen Besuchern, die ihre Pausen gerne auch im Blauen Garten zubrachten und sich an den Novalis-Rosen erfreuen konnten. Die Bürgerinnen und Bürger des Ortes, denen schon die Erhaltung des Schlosses zu verdanken ist, zeigten den Kolloquiumsbesuchern am nächsten Tag stolz ihren Umbau des Klosterspeichers zum Kulturzentrum und machten eindringlich deutlich, wie sehr der Trägerverein sich für dieses Zeugnis der Romantik einsetzt. Sicher auch ein Grund, dass auch der Sonntag musikalisch eingeleitet wurde, diesmal durch den örtlichen Männerchor. Die Vorträge am Sonntagmorgen bestätigten, Romantik, dass ist nicht allein ein ästhetischer Zugang zu den Themen, die uns auch heute noch berühren, sondern auch ein rechtlicher. So sprach Prof. Dr. Heiner Lück von der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg über „Nutzung, Schutz und Symbolik des Waldes im Spiegel mittelalterlicher Rechtsquellen“, er öffnete den Blick für Quellen und Orte wie Steinkreuze, aber auch Gerichts- und Hinrichtungsstätten im Wald. Deutlich wurde so, wie damals gedacht wurde, welche Bräuche es gab und wie sehr die rechtsalltägliche Praxis im Mittelalter auch Einfluss auf unser heutiges Denken haben. Auch dieser Vortrag war ein Hinweis, wie sehr der Mensch auf eine Allianz mit der Natur angewiesen ist, weshalb dann der letzte Vortrag sich konsequent auf die Zukunft richtete. Prof. Dr. Pierre Ibisch von Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde entließ die Freundinnen und Freunde Novalis mit dem wichtigen Appell, den Wald als eine Überlebensressource zu erkennen. Ob nun digital oder in Präsenz anwesend, konnte das Kolloquium vermitteln, dass der ästhetische Zugang, die sinnliche Wahrnehmung immer auch ein Weg ist, sich mit den Fragen der Zukunft zu beschäftigen, Romantik keineswegs Flucht vor der Realität oder Verklärung eines anderen Seins meint, sondern konkrete Hinwendung zu Mensch und Welt. Nicht zu leugnen ist freilich, dass der Weg zum Schloss für alle Menschen aus weiter entfernten Orten umständlich ist, die Unterbringungs- und gastronomischen Möglichkeiten rar und vielleicht deshalb oft überteuert. Schön wäre es daher, wenn die Tagungsstätte irgendwann über eigene Gästeräume verfügen könnte. Francesca Vidal „Ausflüge in den vorromantischen Wald“ - Kommentierte Lesung von Gedichten des 18. Jahrhunderts durch Studierende der Universität Halle-Wittenberg unter der Leitung von Dr. Christiane Holm (Germanistik / Neuere Literaturwissenschaft) Dr. Holm kündigte ihre Lehrveranstaltung (Blockseminar) dergestalt an (die Resonanz auf das Thema war so groß, dass nicht alle Bewerber:innen angenommen werden konnten): Es scheint so, als hätte die Romantik den Wald gepachtet. Das Deutsche Romantik-Museum eröffnet gerade eine Ausstellung zu „Neuen Erzählungen vom Wald“, zahlreiche Wald-Anthologien erscheinen und die Forschung widmet sich, nicht zuletzt im Zuge der Plant Studies, vermehrt den literarischen Baumbeständen. Argumentiert wird, dass die Romantik den wilden Wald in einer Situation zum Thema macht, als er realhistorisch im Schwinden ist. Grund dafür ist die im 18. Jahrhundert einsetzende wissenschaftliche und institutionelle Etablierung einer Forstwirtschaft, die mit waldbaulichen Maßnahmen neue Wald-Bilder schafft. Vor dem Hintergrund der Konjukntur romantischer Wald-Literatur macht sich das Seminar zur Aufgabe, einen bislang mit Blick auf Epoche und Gattung unterbelichteten Bereich zu erkunden: Wald-Gedichte des langen 18. Jahrhunderts. Damit folgt es einer Einladung der Internationalen Novalis-Gesellschaft, einen studentischen Beitrag zur Jahrestagung in Form einer kommentierten Lesung zu erararbeiten. Diese Erkundung ist deshalb vielversprechend, weil Dichter:innen wie Brockes und Brun ein multisensuelles Eintauchen in den Wald inszenieren, während Klopstock und Mereau den heiligen Hain feiern oder Bürger und Voß in ihren Balladen das adelige Jagdprivileg kritisieren. Mit den 10 Studierenden aus Halle: Luisa Bethke, Emely Brückner, Johanna Giest, Clara Grundt, Lea Hochschild, Sophie Kühne, Leonie Lichtenberg, Sandy Maaß, Oscar Metzger, Paul Stanko und ihrer Dozentin Dr. Christiane Holm füllte sich das Novalis-Schloss mit studentischem Nachwuchs und jungen Leuten, was auch Dr. Steffen Schmidt sehr positiv kommentierte, zumal gleichzeitig Kontakt zur Literaturwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg vertieft werden konnte. Die Gruppe war eine produktive Mischung von Studierenden aus dem 2. Semester bis ins 10. Semester, aller Lehramtstudiengänge (Grundschule, Sekunderschule, Gymnasium) waren vertreten, aber auch Germanistik-Bachelor sowie das interdisziplinäre Masterprogramm "Kulturen der Aufklärung". Besonderheiten: Alle Studierende hatten ein erfahrungsgesättigtes Verhältnis zum Wald, zudem entsteht gerade eine Examensarbeit zum Thema und zwei Studierende setzen sich künstlerisch mit dem Wald auseinander (Fotografie und Grafik). Dieser Teil des Kolloquiums war nicht zuletzt eine Hommage an Klopstock, der am 2. Juli 2024 seinen 300. Geburtstag feierte (https://www.klopstock-ev.de) und der auch Novalis inspirierte. Im Mittelpunkt der Gedichteauswahl standen u.a. neben der Lyrik von Frederike Brun, Sophie Mereau und Brockes, Klopstocks Poems „Wäldchen“ und „Die Sommernacht“. Als Gastgeschenk brachten die Studierenden von O. Metzger grafisch ästhetisch gestaltete Kunstkarten mit den vorgetragenen Gedichten mit. Die Gedichte wurden nicht einfach abgelesen, sondern von den Studierenden lebhaft und im besten Sinne „thealtralisch“ in Szene gesetzt. Man spürte die Begeisterung an den Texten, die sich die Gruppe an mehreren Wochenenden „erarbeitet“ hatte. Constanze Keutler